Methadon als Krebsmittel

Opioidrezeptoraktivierung verstärkt Effektivität von Chemotherapeutika

 

Krebszellen exprimieren auf ihrer Zelloberfläche sehr stark Opioidrezeptoren. Dies ermöglicht Opioiden an die Krebszelle zu binden. Dadurch können Opioide die Wirkung von Chemotherapeutika bei der Krebsbehandlung verstärken. Hinsichtlich Wirkung und unerwünschten Wirkungen weist D,L-Methadon gegenüber Morphin, Fentanyl und Buprenorphin das günstigste Profil auf.

Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. Claudia Friesen, Prof. Dr. med. Erich Miltner, Ulm

 

Obwohl die Krebssterblichkeit in den letzten Jahrzehnten durch die Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten stark gesunken ist, stellen inhärente oder erworbene Resistenzen der Tumorzellen gegenüber konventionell eingesetzten Behandlungsmodalitäten wie zytotoxischen Substanzen und Bestrahlungen immer noch ein großes Problem dar. Darüber hinaus sind sie auch ein limitierender Faktor für den Erfolg der eingesetzten Therapien. Resistenzen beruhen auf ganz verschiedenen Mechanismen. So können etwa durch eine verringerte Aufnahme einer toxischen Substanz, eine erhöhte Detoxifikation, eine Veränderung der Zielmoleküle, eine Blockade in den Signalwegen oder auch eine erhöhte Exkretion die Wirkung der gegebenen Medikamente verhindert werden. Einige dieser Veränderungen führen zu Multidrug-Resistenzen (MDR). MDR wird durch eine Familie von Transporterproteinen hervorgerufen, die dem Ausschleusen von endogenen und exogenen Substanzen dient und damit in der gesunden Zelle eine lebenswichtige Aufgabe hat. Mit diesen Transportmechanismen können allerdings auch Chemotherapeutika beschleunigt aus der Zelle entfernt werden und können deshalb weniger wirksam sein. Ein großes Problem in der Krebsbehandlung ist, dass eine Resistenz in Form einer Kreuzresistenz auch mehrere Chemotherapeutika betreffen kann. Diese Kreuzresistenz erschwert die Behandlungsoptionen und den therapeutischen Erfolg. Einen Schwerpunkt in der Forschung bildet daher die Entwicklung neuer therapeutischer Möglichkeiten, Resistenzen zu überwinden und schwere Nebenwirkungen der konventionellen Therapien zu vermeiden.

 

Opioide und Opioidrezeptor Signalweg

 

Opioide, eine chemisch sehr heterogene Stoffgruppe, sind Substanzen, die als Liganden an Opioidrezeptoren binden und wirken können. Dabei werden die natürlichen Opioide, zu denen die Opiate (u. a. Morphin) und endogene Opioide (u. a. Endorphine, Enkephaline) gehö- ren, von den halbsynthetischen und synthetischen Opioiden (u. a. Methadon, Buprenorphin, Fentanyl) unterschieden. Opioidrezeptoren vermitteln über die Opioid-Agonistenbindung die Aktivierung von inhibitorischen Gi-Proteinen, die die Adenylatzyklasen inhibieren und dadurch die Konzentration von zyklischem AMP (cAMP) verringern, sowie verschiedener Ionenkanäle, was zur Modulation verschiedener Signalkaskaden führt. Der second messenger cAMP ist an einer Vielzahl physiologischer Funktionen wie etwa der Zellprolifera tion, Differenzierung oder Apoptose als Antwort auf verschiedene extrazelluläre Stimuli beteiligt.

 

Wirkverstärkung durch Opioidrezeptor-Aktivierung

 

Ein vielversprechender Therapieansatz in der Krebsbehandlung von Leukämien und soliden Tumoren ist die Aktivierung von Opioidrezeptoren durch Opioidrezeptor-Agonisten. Diese ermöglicht einerseits den Einsatz niedriger Chemotherapeutikadosen und überwindet andererseits erfolgreich die Resistenzen gegenüber Chemotherapeutika in Tumorzellen. In der Studie von Friesen C et al.1 wurde gezeigt, dass der Opioidrezeptoragonist D,L-Methadon Leukämiezellen für Chemotherapeutika in ihrer Effektivität – Inhibition der Proliferation, Induktion des Zelltodes, Aktivierung von Apoptosesignalwegen (u. a. Caspasen) und Inhibition von anti-apoptotischen Molekülen – verstärken kann. Die Aktivierung des Opioidrezeptors und die damit resultierende Verringerung des cAMP-Spiegels spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Aufgehoben werden diese Effekte durch eine Blockade des Opioidrezeptors mittels des Opioidrezeptor-Antagonisten Naloxon. Dies ist mit einer Verhinderung der Reduzierung von cAMP durch OpioidrezeptorAgonisten oder durch den Einsatz von Isobutylmethylxanthin (IBMX) verbunden, welches die Phosphodiesterase (PDE) hemmt. Somit kann cAMP nicht zu AMP umgewandelt werden und in der Folge ist cAMP erhöht. Hinsichtlich der Wirkung und unerwünschten Wirkungen wies D,L-Methadon gegenüber Morphin, Fentanyl und Buprenorphin das günstigste Profil auf. Die Opioidrezeptoraktivierung unter der Verwendung des Opioids D,L-Methadon kann die Wirkung von Chemotherapeutika drastisch erhöhen und damit eine Reduzierung der Chemotherapeutikadosis und eine Durchbrechung der Chemoresistenz ermöglichen.

 

Dopppelter Synergismus in der Wirkung

 

Das   Opioid D,L-Methadon und das Chemotherapeutikum können sich durch einen doppelten Synergismus in ihrer Wirkung verstärken. Der Efflux von Chemotherapeutika durch den MultidrugTransporter P-Glycoprotein (P-gp) ist einer der grundlegenden Mechanismen, durch den Krebszellen der Chemotherapie entgehen und eine Multidrug-Resistenz ausbilden. Das Opioid D,L-Methadon kann die Aufnahme von Chemotherapeutika in die Krebszelle erhöhen und das Ausschleusen aus der Krebszelle vermindern. Somit kann eine höhere Konzentration des Chemotherapeutikums in der Krebszelle länger wirken. Die Anzahl der Opioidrezeptoren auf der Zelloberfläche ist sehr entscheidend für die Induktion des Zelltodes durch Opioidrezeptor-Agonisten. Chemotherapeutika besitzen überraschenderweise die Fähigkeit, die Anzahl der Opioidrezeptoren auf der Zelloberfläche von Krebszellen zu erhöhen, und deshalb können mehr Opioidrezeptor-Agonisten an die Krebszelle binden. Das Opioid D,L-Methadon und das Chemotherapeutikum können sich somit gegen

 

Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. Claudia Friesen Leiterin des Molekularbiologischen Forschungslabors der Rechtsmedizin, Zentrum für Biomedizinische Forschung claudia.friesen@uni-ulm.de

Prof. Dr. med. Erich Miltner, Ärztlicher Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Ulm

 

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4|2013 ärztliches journal onkologie